Warum der Staat systematisch das Falsche subventioniert und wie sich das ändern kann.
Angesichts von Klimachaos, globalen Finanzkrisen und Massenarmut brauchen wir, darüber sind sich immer mehr Menschen einig, eine tiefgreifende sozial-ökologische Transformation, die alle Gesellschaftsbereiche erfasst. Es gibt längst eine kaum überschaubare Fülle von Konzepten und Praktiken für diesen Wandel, von der Genossenschafts- bis zur Commonsbewegung, von der Solidarischen Ökonomie bis zur Gemeinwohlökonomie. Manche Konzepte und Initiativen sind noch im Stadium des Ausprobierens, andere sind seit vielen Jahren und Jahrzehnten in der Praxis erprobt. Doch meistens kommen diese Ansätze über gesellschaftliche Nischen kaum hinaus. Warum ist das so? Sind sie nicht tauglich für eine größere Transformation? Zu klein, zu lokal, zu sehr auf ein kleinen Kreis von Idealisten beschränkt? Ökonomisch nicht tragfähig?
Eine entscheidender und oft unterschätzter Grund dafür, dass wir in alten, destruktiven Strukturen verharren und das sozial und ökologisch Sinnvolle sich nicht durchsetzt, ist die Tatsache, dass Staaten systematisch das Falsche subventionieren, sowohl auf direkte, offene Weise, als auch auf versteckten und indirekten Wegen – und damit den Wandel blockieren. Um die nötige Transformation möglich zu machen, ist daher beides notwendig: das Richtige von unten aufzubauen; und die Förderung des Falschen zu stoppen.
Die Öl-, Erdgas- und Kohleindustrie etwa wird, nach den ausgesprochen konservativen Schätzungen der Internationalen Energieagentur, weltweit jedes Jahr mit mindestens 544 Milliarden Dollar subventioniert. Mit einem Bruchteil dieser Gelder ließe sich eine Umstellung auf dezentrale erneuerbare Energien finanzieren. Die Auto- und Luftfahrtindustrie wird ebenfalls massiv gefördert, vor allem dadurch, dass sie nicht für die massiven Umwelt- und Klimaschäden haftbar gemacht wird, die sie verursacht. Während unsere Straßen mit paramilitärischen Spritschluckern geflutet werden, findet die BVG in Berlin keine Straßenbahnfahrer mehr, weil sie zu schlecht bezahlt werden, und die Infrastruktur des Staatsunternehmens Bahn, einschließlich der S-Bahnen, wird von Managern, die aus der Flugzeug- und Autobranche stammen, immer weiter in den Ruin getrieben. Auch das industrielle Agro-Business, das weltweit für etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen und für eine rapide Zerstörung von Böden und Süßwasservorräten verantwortlich ist, wird von Staaten massiv subventioniert, allein in der EU mit rund 100 Milliarden Euro pro Jahr. Dabei wissen wir längst, dass eine kleinbäuerliche biologische Landwirtschaft auf Dauer mehr Menschen ernähren kann als die industrielle. Angesichts dieser Zahlen erweist sich die Rede von den „freien „Märkten“ als Mythos. Tatsächlich ist die kapitalistische „Megamaschine“ nur noch funktionsfähig, weil ihre Hauptprofiteure vom Staat am Leben gehalten werden.
Eine zentrale Rolle bei der gegenwärtigen Fehlsteuerung in praktisch allen gesellschaftlichen Bereichen spielt das Bankensystem, das selbst nur durch Subventionen in Billionenhöhe überhaupt noch existiert. Allein die Rettung der deutschen Banken hat seit 2008 rund 100 Milliarden Euro gekostet, das ist ein Drittel eines gesamten Bundeshaushalts. Großbanken sind aber nicht nur problematisch, wenn sie vom Staat gerettet werden, sondern auch wenn sie regulär funktionieren. Denn sie vergeben Kredit nach einer einzigen Maßgabe: dem maximalen Profit. Das bedeutet in der Regel, dass Investitionen gefördert werden, bei denen soziale und ökologische Kosten erfolgreich auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, vom Bergbau über die Rüstungsindustrie bis zu gefährlichen Spekulationen. Was dem Gemeinwohl dient, wirft oft weniger oder keine Rendite ab und bekommt daher keinen Kredit. Hinzu kommt, dass Großbanken aufgrund ihrer Struktur Großprojekte vorziehen, weil sie rentabler sind. Eine dezentrale Entwicklung (small is beautiful!) wird auf diese Weise blockiert. Wir brauchen daher ein Geld- und Finanzsystem, das nach grundlegend anderen Kriterien operiert – und das bedeutet andere Rechtsformen und Eigentumsstrukturen. Genossenschaftsbanken und teilweise auch Sparkassen können dafür einige Ansätze bieten, aber sie bleiben Nischen, solange sie im Schatten der hochsubventionierten Megabanken stehen.
Den Großbanken die Unterstützung zu entziehen bedeutet, sie im sehr wahrscheinlichen Fall erneuter Finanzkrisen nicht mehr oder nicht mehr bedingungslos zu retten. Es gibt bereits jetzt die rechtlichen Möglichkeiten, gestrauchelte Großbanken zu zerlegen, existentiell wichtige Einlagen wie Renten zu sichern und andere Gläubiger in den wohlverdienten Konkurs zu schicken. Das, was von den Banken dann noch übrig ist, ließe sich in andere Rechtsformen überführen, die dem Gemeinwohl und nicht dem Profit der Shareholder verpflichtet sind. Solche Finanzinstitute könnten beispielsweise Gelder für den Umbau des Energiesystems, des Transportwesens und der Landwirtschaft auf nachhaltige Strukturen bereitstellen. Wir brauchen, mit anderen Worten, langfristig einen vollkommen neuen Rahmen für ökonomisches Handeln, der dem Gemeinwohlprinzip grundsätzlich Vorrang vor dem Profitprinzip gibt. Utopie? Vielleicht. Aber die Fortführung des gegenwärtigen Systems ist mindestens ebenso utopisch.
Eine solche tiefgreifende Transformation kann nicht ohne große politische Kämpfe gelingen. Denn wenn die Alternativen ihre Nischen verlassen und eine systemische Schwelle erreichen sollen, dann ist auch mit wachsendem Widerstand der mächtigen Interessengruppen, die dabei einiges zu verlieren haben, zu rechnen. Ihr Geschäftsmodell beruht auf der Ruhe und Apathie der BürgerInnen, auf einer Stimmung der Postdemokratie. Gönnen wir ihnen diese Ruhe nicht.
Dieser Beitrag ist auch in der Taz-Wochenendausgabe “Taz.zum Wandel” am 5.9.2015 unter dem Titel “Der Staat finanziert die Bremser” erschienen.